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g r e i f b a r  u n b e g r e i f l i c h

   Ausstellung 2021 in Männedorf

Texte und Bilder

Ausstellungstext
von Tanja Warring

slovenský preklad

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Interview mit
Tanja Warring

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Entdeckungsreise

 

«Meine Werke betrachte ich jedes für sich als Prototyp.

Auch wenn sich die Motive äusserlich ähneln, ist doch der Entstehungsprozess immer wieder ein ganz eigener. Ich schaffe nicht Neues, sondern mache eigentlich eher sichtbar. Dies geschieht nicht mit einem konkreten Ziel, sondern ich forsche und taste mich vor. Ich befinde mich auf einer Entdeckungsreise. Auch frage ich mich jedes Mal, wenn ich ein neues Bild anfange, «wie soll das überhaupt gehen?». Und dann entsteht es einfach im Tun, durch das Bewegen des Pinsels auf der Malfläche.»

Verklärung

 

«Meine ganze Malerei ist eigentlich eine einzige Verklärung.

Das Festhalten am «altehrwürdigen» Ölbild, der sogenannten Krönung der Malkunst. Es galt in der Postmoderne als nicht mehr «zeitgemäss», doch ich beobachte in den letzten 15-20 Jahren einen gegenteiligen Trend. Vor mehr als 100 Jahren haben wir mit Kasimir Malewitsch das «Ende der Malerei» gefeiert, mit Marcel Duchamp dann gar das «Ende der Kunst». Doch soll man Kunst als Fortschritt im Sinne einer kontinuierlichen linearen Entwicklung begreifen, in der man «Altes» endgültig zurücklässt und nur dem «Neuen», dem «noch nie Dagewesenen» entgegenstrebt? Da möchte ich widersprechen. Kunst ist für mich der Output infolge einer Reaktion auf eine Vielzahl von Ereignissen eines ganzen Lebens in seiner inneren und äusseren Form. Es ist eine höchst persönliche und individuelle Reaktion auf subjektiv Erlebtes in einem objektiven gesellschaftlichen Kontext. Dabei sehe ich die verschiedenen Kunstformen, Techniken und Motive eher als dimensionalen Raum, eine Art Fundus, aus dem man sich bedienen kann. Zugleich ist der künstlerische Prozess zutiefst intim, und gleichzeitig eine Botschaft für die Allgemeinheit. Jenes Gleichgewicht zwischen persönlicher Erfahrung und allgemeingültiger Aussage zu finden, ist die eigentliche Krux.

Den eigenen Weg kann man erst mit einem gewissen Abstand beurteilen. Beim Tun gilt es «Augen zu» und weitermachen.»

Film

 

«Wenn man an die monumentalen Bildzyklen denkt, wie sie beispielsweise Rubens gemalt hat oder wie man sie auch aus mittelalterlichen Kirchen kennt, diente die Wandmalerei damals vor allem dem Geschichtenerzählen. Der Film löste das Ende des 19. Jahrhunderts ab. Nun mache ich das Umgekehrte. Ich halte die Filme an und male die Szenen. Einerseits möchte ich durch diese Umkehrung die realitätsnahe Malerei wieder aus ihrer Nische des blossen «Abbildens» hervorlocken, was ja manchmal auch etwas abschätzig kommentiert wird. Andererseits geht es vielleicht auch darum, die Zeit anzuhalten und genauer hinzuschauen, was in den vorbeihuschenden Szenen so alles passiert. Es gibt Filme, die verdienen es nicht, einfach nur «konsumiert» zu werden.»

Accessoires

 

«Marlène Dietrichs unnahbares gepudertes, perfektes und zugleich künstliches Gesicht. Coco Chanels schlichte Eleganz, die bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüsst hat. Die Pailletten und der Glitzer des Baba-Beaton-Bildes, die breitkrempigen Hüte. Die Zigarette als «Accessoire», das Unabhängigkeit und das Brechen mit weiblichen Rollenbildern verkörpert. Als Frauen spielen wir mit solchen Accessoires, wählen und kombinieren sie meist unbewusst. Doch sind das meiner Meinung nach in gewissem Sinne auch nach aussen gekehrte Wünsche und Sehnsüchte. Wir experimentieren damit. Jede Frau baut sich aus diesen Komponenten ihre eigene äusserliche Erscheinung und nähert sich so ihrer «Idealvorstellung» an. Vielleicht wirken diese Komponenten unterstützend in der Befreiung aus vorgespurten Rollenvorstellungen, doch drohen sie gleichzeitig, sich in nur oberflächliche Hüllen zu verwandeln, um die innere Leere zu verdecken… wie es bei Marlène Dietrich zu sein schien. Coco Chanel hingegen trägt ihr «Label» mit Würde, um sich rebellisch als eigenständige Individualität zu präsentieren. Die Resonanz, die diese Frauen auslösen, können vielleicht ein Wegbereiter sein, um die eigene Individualität und Einzigartigkeit zu entdecken.»

Frauen

 

«Irgendwie scheint mir, dass Frauen den Spielraum, ihr Gesicht durch ihren inneren emotionalen und äusseren Ausdruck zu verändern, mehr nutzen als Männer. Deshalb male und erforsche ich Frauengesichter unentwegt.

Natürlich kamen später auch feministische Überlegungen hinzu. Diese sind aber eher ein Erklärungsversuch, warum ich eigentlich fast ausschliesslich Frauen male. Bei allen Erklärungen überwiegt eigentlich immer die erste. Frauengesichter, in verschiedene äusserliche Rahmen gesetzt, sind für mich wie eine Quelle, die nie versiegt. Es fasziniert mich einfach, sie zu malen.

Sicher geht es auch um eine Art Spiegelung. Ich spiegle mich in den Frauen, die ich male, suche mich selbst, meine eigene Identität und verändere sie auch. Andererseits überlege ich mir gerade, ob ich mich überhaupt als Frau fühle, wenn ich male. Ich glaube, eher nicht. Ich bin in dem Moment keine Frau, sondern ein suchendes und schöpfendes Subjekt.»

Malen und Musik

 

«Meist male ich an mehreren Bildern gleichzeitig. Daher ist die Dauer nicht so einfach abzuschätzen. Die Bergmann-Bilder gingen und gehen mir sehr leicht von der Hand. Es scheint so, dass mich einige Gesichter besser ansprechen als andere. Autoportraits sind auch nicht sehr zeitintensiv. Ich höre immer Musik beim Malen, vorwiegend Jazz und Klassik, aber auch populäre Musik.

Ich beginne immer «alla prima» mit grosszügigen breiten Pinselstrichen mit dünner Farbe und mache keine Skizzen. Die Komposition entsteht eher suchend, die ich zu Beginn immer wieder korrigieren muss. Bis dann die Endversion steht. So taste ich mich heran, bis sich das Bild allmählich herausschält. Ich gehe vom Groben ins Feine. Mit den weiteren Schichten kommen immer mehr Details hinzu. Es gibt auch keine feste Reihenfolge, was wann gemalt wird. Natürlich ist das Gesicht zentral, es muss zum Gesamtkörper und zur Komposition passen. Die Proportionen sind wichtig. Oft fliesst es aber von allein, sobald sich der Pinsel zu bewegen beginnt und die Musik läuft.»

Heilligenschein

 

Das «Spiel» von Ines Torelli mit dem Teller treibt die Spannung zwischen «in ein Rollenbild passen» und der Sehnsucht nach Ruhm und Unabhängigkeit doch unglaublich gekonnt zusammen. Zumal ich mir obendrein nicht sicher bin, ob das in den 60er Jahren, als «Zum goldige Leue» im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wurde, bewusst geschah. Ich glaube, eher nicht. Teller abtrocknend singt sie davon, dass sie einmal ein Hollywood-Star werden möchte. Offenbar ging das damals nicht ohne Teller in der Hand und über die Zwischenstufe einer allgemein akzeptierten Rolle, und auch der «Obhut» eines Mannes (sie erwähnt in dem Lied ihren Vater, ihren Chef, den Mann, der sie einmal für Hollywood entdeckt…). Aber dafür mit einer perfekten hochmodernen Föhnfrisur, die fast schon wie ein Heiligenschein wirkt. Heiligenschein auf dem Kopf und Heiligenschein in den Händen. Eine gewagte, und doch witzige Assoziation. Eine Heilige also, die Teller abtrocknend nach Hollywood – in den Himmel? in die Freiheit? – will. Zum Schluss des Lieds lässt sie den Teller dann doch noch fallen…

                                                                                                                                                               Auszüge aus einem Gespräch mit Tanja Warring

Ines_Torelli_aus_Zum_goldige_Leue, 60x75cm Öl auf Leinwand, 2020.jpg
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